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Der jüdische Autor Rachmil Bryks erzählt über das Leben, das Überleben und das Sterben im Lodzer Ghetto und im Konzentrationslager Auschwitz. Mit seiner außergewöhnlichen Erzählweise überträgt er die Ausweglosigkeit des Ghetto-Alltags, den schmerzenden Hunger und die ständige Angst in schriftliche Form - nicht ohne mit feinem Witz dem Grauen immer wieder zu trotzen.Wer eine Katze - eine wichtige Mausefalle - fängt, bekommt im Lodzer Ghetto einen Laib Brot. Brot ist unbezahlbar und überlebenswichtig, da ansonsten nur mit Kraut- und Rettichblättern gekocht wird. Ebenso essentiell ist Holz, das…mehr

Produktbeschreibung
Der jüdische Autor Rachmil Bryks erzählt über das Leben, das Überleben und das Sterben im Lodzer Ghetto und im Konzentrationslager Auschwitz. Mit seiner außergewöhnlichen Erzählweise überträgt er die Ausweglosigkeit des Ghetto-Alltags, den schmerzenden Hunger und die ständige Angst in schriftliche Form - nicht ohne mit feinem Witz dem Grauen immer wieder zu trotzen.Wer eine Katze - eine wichtige Mausefalle - fängt, bekommt im Lodzer Ghetto einen Laib Brot. Brot ist unbezahlbar und überlebenswichtig, da ansonsten nur mit Kraut- und Rettichblättern gekocht wird. Ebenso essentiell ist Holz, das mit allen Mitteln beschafft wird: die Rückwand des Schrankes, der Fußboden, das Dach, alles, was entbehrlich ist, wird verheizt, um Essen zu kochen und die Kälte zu bekämpfen. Das Leben im Ghetto ist durch Arbeit, Hunger und Angst bestimmt - Gefühle, die in den fünf Erzählungen ebenso berührend ehrlich wie überwältigend geschildert werden und dabei tief ergreifen.Aus dem Jiddischen übersetzt von Andrea Fiedermutz und mit einem Nachwort von Bella Bryks-Klein.
Autorenporträt
Rachmil Bryks, geboren 1912 in Polen, jüdisch-orthodoxer Schriftsteller. Von 1940 bis 1944 ins Lodzer Ghetto gesperrt, nach dessen Liquidierung nach Auschwitz transportiert, später in ein Arbeitslager in Deutschland überstellt. Befreiung durch die Amerikaner 1945, während des anschließenden medizinischen Aufenthalts in Stockholm, wo er begann, seine Erlebnisse schriftlich zu verarbeiten, entstanden u. a. »Eine Katze im Ghetto«, »Kiddusch ha-Schem« und »Der Kaiser des Ghettos«. Emigration nach Amerika 1949, wo er 1974 verstarb.
Rezensionen
Würde ist der größte Reichtum
Lehren aus der Schoa für das Zusammenleben nicht nur in Zeiten von Corona: Die Gettogeschichten von Rachmil Bryks erscheinen erstmals auf Deutsch

Auf dem Internetforum eines betuchten Bostoner Vororts postete kürzlich ein Mann einen vulgären Witz mit einer Krankenschwester als Protagonistin und trat damit eine Diskussion los, wie viel Vulgarität in der Zeit von Covid-19 erlaubt sei. Giovanni Boccaccio wurde angeführt, der die Vulgarität der Geschichten seines Decamerone, die von feinen Damen in ihrer reichen bukolischen Abgeschiedenheit erzählt wurden, auch damit entschuldigte, dass die extreme Körperlichkeit, die das Massensterben während der Pest von 1348 den Menschen aufnötigte, die Keuschheit junger Damen der Oberschicht etwas lockerte.

Nun ist es aber doch so, dass die meisten Menschen in Europa und Amerika die Pest unserer Tage in relativer Sicherheit und erheblichem Luxus überstehen - im Vergleich etwa zu den Londoner Verhältnissen im Pestjahr 1665 - und dass unsere Herausforderung in der jetzt notwendig werdenden Umverteilung des Reichtums besteht. Wir empfinden unseren Reichtum (heiße Dusche, Kaffee, Müsli, Internet) längst als uns zustehenden minimalen Lebensstandard; wenn es ans Eingemachte geht, ziehen viele Menschen die Samthandschuhe aus. Kulturelle Selbstdisziplin war schon immer nur ein dünnes, fragiles Furnier, das unser elementares, tierisches Wesen minimal kaschierte.

Was man von der immensen Literatur lernen kann, die der Holocaust hervorgebracht hat, ist, dass sich die Juden auch unter den härtesten Bedingungen kein Abgleiten in Vulgarität erlaubten. Gerade das Festhalten an den Errungenschaften der Hochkultur war ja die Bestätigung dafür, dass ihre Erniedrigung zu geschundenen Tieren nur die Schinder selbst erniedrigte. Primo Levis innere Rezitation der Verse Dantes in Auschwitz, Abraham Sutzkevers Insistieren aufs Komponieren formal vollendeter Gedichte im Getto von Wilna, ja die heimlich abgehaltenen Gottesdienste in den Lagern, bei denen das komplexe hebräische Achtzehn-Bitten-Gebet gesprochen wurde, und die Rezitationen biblischer Texte waren Affirmationen der Menschlichkeit gegen die tierische Behandlung und ermöglichten trotz Erniedrigung und extremer Entbehrung die Selbsterhaltung durch die Bewahrung einer inneren Würde. Sich nicht als Tier zu fühlen war das Wichtigste.

Damit ist bereits der Kern der jiddischen Geschichten von Rachmil Bryks skizziert, die das Leben im Getto von Lódz darstellen und jetzt in einer insgesamt guten Übersetzung von Andrea Fiedermutz im Wiener Czernin Verlag herausgekommen sind. Bryks galt unter Überlebenden lange als kontrovers, weil in seinen Erzählungen die Juden, die in Lódz verhungerten oder in Chelnmo und Auschwitz starben, keine Heiligen sind. In den Augen seiner Kollegen Samuel Joseph Agnon und Isaac Bashevis Singer aber war Bryks einer der Besten.

Er wurde 1912 in Skarzysko-Kamienna in eine orthodoxe Familie geboren, hatte drei Brüder und vier Schwestern. Sie wurden mit ihren Familien 1942 in Treblinka und 1944 in Auschwitz ermordet. Ein Bruder entkam und wurde im Juni 1946 in Skarzysko von einem Polen erschossen. Rachmil Bryks hatte sich seit 1926 in Lódz als Hutmacher und Tapezierer durchgeschlagen, um am jiddischen Theater Dramaturgie und Schauspielerei zu erlernen. Im Jahr 1939 veröffentlichte er einen Band mit Gedichten, der sehr bewundert wurde. Von Mai 1940 bis August 1944 war er im Getto von Lódz interniert. Er hatte Glück, wurde zwar nach Auschwitz deportiert, überlebte aber und gelangte nach Ravensbrück und Werbelin, wo ihn Amerikaner am 2. Mai 1945 befreiten. Danach wurde Bryks in Bergen-Belsen behandelt und vom Roten Kreuz nach Schweden geschickt, wo er sich erholte und heiratete.

Aufgrund seiner Kenntnisse des Gettos in Lódz holte ihn Max Weinreich, der Leiter des Jüdischen Forschungsinstituts (Yivo), im März 1949 nach New York. Dort erschien 1952 der erste Band von Bryks' jiddischen Erzählungen aus der Schoa, der jetzt um zwei Geschichten erweitert auf Deutsch vorliegt. Der ursprüngliche Titel "Af kidesch haschem" (Für die Heiligung des Namens) stellt die Ermordung der europäischen Juden in den Zusammenhang ihrer Verfolgungen seit 1096 und fragt, was genau unter dem allerhärtesten Druck nicht aufgebbar ist. Da die Geschichten Pointen haben, kann man sie hier nicht erzählen, aber ein Beispiel muss doch gegeben werden.

Ein junges Paar findet sich kurz nach seiner Hochzeit im Getto interniert. Weil im Getto alles schimmelt, hängen Herr und Frau Seif ihre noch jungfräulich sauberen Kleider abwechselnd (einen Tag er, einen Tag sie) auf den kleinen Balkon in die Sonne. Brennholz wird knapp. Um die lebensrettenden Kohl- und Rettichblätter zu kochen, muss Herr Seif den hölzernen Wäscheschrank aus der bürgerlichen Zeit auseinandernehmen. Er tut es strategisch. Er verwandelt die Regalbretter in Leisten, über die er das Schrankpapier legt, montiert die Rückwand ab und zuletzt die Tür, so dass der Schrank schließlich eine so wacklige Angelegenheit ist wie das verhungernde Ehepaar selbst. Nach jeder Reduktion zeigt Herr Seif den Schrank seinem Freund Blaustein, um zu beweisen, dass trotz aller Entbehrungen der Schrank noch ein Schrank ist und die schön gefaltete Wäsche trägt.

Als Herr Seif vor dem Hungertod steht, fragt ihn Blaustein, warum er denn nicht etwas von der Aussteuer verkaufe. Das ginge überhaupt nicht, sagt Herr Seif, "sie ist uns so kostbar wie die Augen im Kopf. Just um die Deutschen zu ärgern, werden wir in dieser Kleidung aus dem Ghetto heimgehen." Auf dem Weg nach Hause erinnert sich Blaustein an eine Rede des Gauleiters Arthur Greiser vom Mai 1940: "Der Hunger wird die Juden in tollwütige Hunde verwandeln! Sie werden sich gegenseitig in Stücke reißen und auffressen." Blaustein fasst dann zusammen, was zum kollektiven Credo der Juden, zum Kern ihres Widerstands wurde: "Wir sterben tatsächlich vor Hunger. Aber zu wilden Tieren sind wir nicht geworden. Nicht nur reißen wir uns nicht gegenseitig in Stücke, sondern wir tauschen nicht einmal Hochzeitskleider für ein Stück Brot und Fleisch ein . . . ,Er' kann uns nicht in tollwütige Hunde verwandeln."

Natürlich wurde auch im Getto gestohlen, und das Leben dort und in den Lagern war grauenhafter, als Tagebücher und Erzählungen es je darstellen können. Doch wer überlebte, nahm mit, dass das Erhalten des menschlichen Kerns, des winzigen göttlichen Funkens, Überlebenshilfe war. Blaustein bringt Seif seine halbe Ration. Heute brauchen die Nachbarn in Frankreich, Italien, Spanien, England unsere halbe Ration.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Rachmil Bryks: "Eine Katze im Ghetto und andere Erzählungen".

Aus dem Jiddischen von Andrea Fiedermutz.

Czernin Verlag, Wien 2020. 205 S., geb., 22,- [Euro].

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